Hybride Veranstaltungen – so vermeidest Du die Zweiklassen-Gesellschaft

von | 8. Februar 2022 | 0 Kommentare

Als Facilitator kenne ich viele verschiedene Formate für Meetings, Konferenzen und Veranstaltungen. Praktisch alle wurden ursprünglich für analoge Veranstaltungen vor Ort entwickelt. Also für Veranstaltungen, die an einem bestimmten Ort stattfanden. Mit Teilnehmenden, die ebenfalls alle an diesem Ort waren.

Dank Pandemie, plötzlicher Lockdowns, Home Office Pflicht und zeitweiligem Verbot von Veranstaltungen wurden Online-Veranstaltungen oder hybride Veranstaltungen für Organisationen immer gefragter.

Die meisten Formate lassen sich mittlerweile dank innovativer Tools auch tatsächlich sehr gut in Online-Veranstaltungen umsetzen.

Hybride Veranstaltungen – immer ein sowohl als auch

Insbesondere in den letzten zwei Jahren standen meine Kunden immer wieder vor der Frage „Sollen wir wirklich das geplante Format online durchführen? Oder doch lieber als hybride Veranstaltung?“

Oft werden die hybriden Veranstaltungen als die perfekte Lösung beschrieben, mit der man sehr einfach sowohl Teilnehmende vor Ort als auch online einbinden kann.

Organisationen sehen in den hybriden Veranstaltungen oft eine einfache und günstige Lösung alle Mitarbeitenden einzubinden, kommerzielle Anbieter sehen die Möglichkeit so weitaus mehr Teilnehmende zu gewinnen.

Hybride Veranstaltung – das bedeutet es:

  • ein Teil findet wie gewohnt in der Organisation oder einer Tagungslocation mit Teilnehmenden direkt vor Ort statt.
  • ein Teil der Teilnehmenden nimmt Online teil

Veranstaltungen vor Ort: Loslassen fällt schwer

Der Wunsch der meisten Kunden war ganz klar: „Wir planen auf jeden Fall offline und hoffen, daß es keine Beschränkungen gibt.“

Natürlich ist es einmal ein riesiger Schritt, wenn man sich der Herausforderung gegenüber sieht, liebgewonnene Formate und Gewohnheiten loszulassen. Man hatte schließlich Partner mit denen man zum Teil über einen langen Zeitraum zusammenarbeitete. Hotels, Tagungsorte, Caterer usw. Teilnehmer an Veranstaltungen freuten sich auf das persönliche Wiedersehen, auf Annehmlichkeiten vor Ort und den lockeren Austausch.

Selbst dann, wenn eine Tagung im eigenen Unternehmen stattfinden sollte, gab es gewohnte Rituale und persönliche Begegnungen auf die sich alle freuten.

Planungsschritte waren altbekannt, nichts Neues musste gefunden oder ausprobiert werden. „Alles wie immer“ ist für die meisten die stressfreieste Variante etwas umzusetzen.

Arbeiten auf der Dachterasse der Pegelbar in Neuss
Vor Ort in Präsenz: Wunderbares Arbeiten auf der Dachterrasse der Pegelbar in Neuss

Vor Ort geht doch nicht – also schnell umstellen auf Online?

Aber – in den meisten Fällen musste dann doch noch Plan B her und es hieß für alle Beteiligten: Wir führen alles online durch.

Nur – die Umsetzung 1:1 funktioniert nicht:

Das, was offline geplant war musste also in solchen Fällen noch einmal geplant werden – unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer Online-Veranstaltung:

  • Redezeiten müssen kürzer,
  • die Interaktion höher werden,
  • Visualisierungen müssen anders stattfinden,
  • ein Tool mit dem alle gut und einfach arbeiten können (und welches stabil läuft) muss gefunden werden,
  • ein wenig technische Ausstattung wie Internet, Mikro, Kamera und Licht sollten auch vorhanden sein – bei jedem Teilnehmenden.

Damit, dass sich alle mal eben vor die Kamera setzen, ist es nicht getan.

Die Planung muss neu erfolgen und deutlich detaillierter sein. Insbesondere in Bezug auf den zeitlichen Ablauf.

Birgit Gosejacob schaut flach über den Schreibtisch auf Laptop und Mikrofon. Augen und Stirn spiegeln sich im Handydisplay
Es geht ins Online-Meeting… Vorbereitung: Technik einrichten.

Hybride Veranstaltungen als „Online -Light“?

Da in vielen Fällen einige der Teilnehmer durchaus vor Ort sein konnten und/oder durften, kam dann sehr schnell die Frage nach einer Durchführung als hybride Veranstaltung auf. Das heißt ein Teil der Teilnehmenden sollte im Veranstaltungsraum direkt vor Ort in der jeweiligen Location teilnehmen, während der andere Teil individuell vom jeweiligen Rechner teilnehmen sollte.

Die Idee dahinter:

  • Es braucht gar nicht viel verändert zu werden und wenigstens für diejenigen, die vor Ort sein können, sollte alles so sein wie immer.
  • Diejenigen, die online teilnehmen würden, wären dabei und würden nichts verpassen.
  • Ein oder mehrere große Monitore, Kameras für die Übertragung aus dem Tagungsraum usw. können gemietet werden.

So weit so gut – und falsch gedacht.

Podium auf einer Veranstaltung wird für Übertragung gefilmt
Live-Übertragung bei einer hybriden Veranstaltung

Hybride Veranstaltungen: Wenn gleich nicht gleich ist

Das, was dabei nicht bedacht wird, ist die Tatsache, dass beide Gruppen, die Teilnehmenden vor Ort und die Teilnehmenden online, ungleiche Voraussetzungen haben:

Das ist bei hybriden Veranstaltungen auch dann der Fall, wenn bei der Moderation auf Wortmeldungen der Teilnehmenden vor Ort und online gleichermaßen geachtet wird. Aber es ist dabei schon schwierig die Reihenfolge der Meldungen einer Gruppe zu verfolgen. Bei der Berücksichtigung von zwei verschiedenen Gruppen ist es, vor allen Dingen bei lebendigen Diskussionen, extrem schwierig und nur durch mehrere Moderatoren zu lösen.

Die Gefahr übersehen oder überhört zu werden

  • Die Gefahr, dass sich Vertreter der einen oder anderen Gruppe hier vernachlässigt oder gar überhört fühlen ist groß.
  • Wer sich nicht gehört und/oder gesehen fühlt, zieht sich schnell zurück, wird frustriert und verliert das Interesse an der Veranstaltung. Insbesondere bei den Online-Teilnehmenden besteht da die Gefahr sie für die Veranstaltung zu verlieren. Die Ablenkungsgefahr bei Online-Teilnehmenden ist extrem hoch.
  • Umgekehrt könne auch Teilnehmende vor Ort das Gefühl haben übersehen zu werden. Vielleicht kommt der /die Moderatoren mit den in Reihenfolge der Meldungen eingegangen Handzeichen der Online-Teilnehmenden besser zurecht als mit den Meldungen der Teilnehmenden vor Ort.

So oder so – es ist kaum möglich, beiden Gruppen in hybriden Veranstaltungen gleich gerecht zu werden. Zu leicht schleicht sich das Gefühl der Benachteiligung gegenüber der jeweils anderen Gruppe ein.

Gesichter und Stimmen bei hybriden Veranstaltungen

Einen entscheidenden Unterschied zwischen den Gruppen stellt auch die Sichtbarkeit dar:

  • Alle, diejenigen, die online teilnehmen, sehen die Gesichter der jeweils Sprechenden, groß, deutlich und nah direkt auf dem Bildschirm vor sich. Trotz der Distanz ist hier eine gewisse Intimität gegeben. Diejenigen, die vor Ort sind, sehen im Idealfall das Gesicht eines online Teilnehmenden auf einem großen Monitor im Raum – weit weg.
  • Oder, im schlimmsten Fall, gar nicht. Nämlich dann, wenn die online Teilnehmenden zwar alles aus dem Tagungsraum übertragen bekommen, selbst aber nur Fragen und Kommentare in einem Chat abgeben können. Diese werden dann vom Moderator vorgelesen. Eine Variante, deren einziger „Vorteil“ darin besteht, dass Kosten und Bandbreite gespart werden.
  • In einem solchen Fall verlieren die online Teilnehmenden Gesicht und Stimme, während die Teilnehmenden vor Ort selbst sprechen können und so mit Stimme, Mimik und Gestik im Tagungsraum präsent sind.
  • Wird dann noch vor Ort der jeweilige Sprecher gefilmt, sind die Online-Teilnehmenden komplett deklassiert. Die einen haben Stimme und Gesicht, die anderen nicht.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor bei jeder Art von Veranstaltung, in der Interaktivität gewünscht wird ist, dass sich die Teilnehmenden gesehen und gehört fühlen. Ist das bei nur einem Teil der Teilnehmenden gegeben, entsteht zwangsläufig eine Zwei-Klassen Gesellschaft, die sich insbesondere bei firmeninternen Veranstaltungen nachhaltig negativ auswirken kann.

Kamera auf Podium gerichtet, Einblendungen für Hybridteilnehmer oben rechts
Veranstaltung vor Ort, online oder hybrid – die Sichtbarkeit der einzelnen Teilnehmenden unterscheidet sich

Pausenrituale – für die einen so, die anderen so

Diese Ungleichbehandlung geht über den offiziellen Teil der hybriden Veranstaltung hinaus:

Die Teilnehmenden vor Ort können sich wie gewohnt locker informell bei einem Kaffee austauschen.

Die online Teilnehmenden können sich, sofern das genutzte Tool es zulässt, zwar in Breakout Räumen treffen (Zoom lässt hier beispielsweise auch freie Bewegungsfreiheit zu), aber haben keine Chance mit den Teilnehmenden vor Ort in Kontakt zu treten.

Es sei denn, es gibt auch vor Ort Geräte, mit denen sich die Teilnehmenden während der Pause in den virtuellen Konferenzraum begeben können. Dann stellt sich aber die Frage, warum das für den restlichen Teil der Veranstaltung nicht möglich sein sollte.

Die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft

Egal ob es um die Beteiligung bei Wortmeldungen geht, um das Gesehen und Gehört werden, oder um die Möglichkeit der Interaktion in der Pause:

Die hybriden Veranstaltungen führen extrem leicht zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Dem Veranstalter ist es normalerweise nicht bewusst – schon gar nicht ist es gewollt. Aber bei den Teilnehmenden entsteht dieses Gefühl sehr schnell. Sowohl während der Veranstaltungen, aber auch noch im Nachhinein.

Es wird automatisch in späteren Gesprächen gewertet: Wer war vor Ort, wer war Online dabei. Was wurde als besser, als wertiger empfunden? Wo fühlten sich die Teilnehmenden präsenter und besser wahrgenommen?

Ganz oder gar nicht

Meinen Kunden empfehle ich immer, sich grundsätzlich zu entscheiden: Online oder vor Ort.

Wenn es so ist, dass z.B. bei Gremiensitzungen, betrieblichen Versammlungen, usw. Teilnehmende vor Ort sind, sollten diese für das Meeting ein internetfähiges Gerät mit eigenem Zugang zum Meeting zur Verfügung gestellt bekommen. Das macht auch dann Sinn, wenn einige Mitarbeiter zusammen im Konferenzraum oder der Kantine sitzen.

Jedem ein Gesicht geben. Jedem eine Stimme geben. Jedem die gleichen Möglichkeiten der Interaktion geben.

Wichtig ist, dass jeder Teilnehmende genau dieselben Kommunikationsmöglichkeiten hat.

Die Lösung, wenn es eine hybride Veranstaltung sein muss

Gerne werde ich in solchen Gesprächen dann auf die Ausnahmen angesprochen:

Zum Beispiel in Bezug auf Mitarbeitende aus Bereichen, in denen es schlicht und einfach keinen Zugang zum Internet gibt und wo auch kein Computer am Arbeitsplatz vorhanden ist. Da wäre es doch einfach und sinnvoll, diese in einen Konferenzraum zu holen und in diesem Fall eine hybride Veranstaltung durchzuführen, oder?

Nein! Auch da würden direkt die oben beschriebenen Mechanismen greifen.


Die Lösung:

Alle Teilnehmenden an der hybriden Veranstaltung ohne Ausnahme mit internetfähigen Geräten für das Meeting ausstatten.


Sollten Teilnehmende selbst unerfahren mit Online-Veranstaltungen, Videokonferenzen und dergleichen sein, sollten diese auf jeden Fall im Vorfeld eine kurze Schulung bekommen:

Nur so ist gewährleistet, dass sich alle mit Gerät und den der Veranstaltung verwendeten Tools auskennen. Eine Voraussetzung dafür, dass eine entspannte Teilnahme auch mit entsprechender Interaktion erfolgen kann. Nur so werden Online-Meetings Akzeptanz finden und Lust auf Teilnahme machen.

  • Jedem ein Gesicht geben.
  • Jedem eine Stimme geben.
  • Jedem die gleichen Möglichkeiten der Interaktion geben.
  • Und das bedeutet – jedem ein Gerät zur Teilnahme.

Natürlich spricht dann nichts dagegen, dass dann mehrere Teilnehmende in einem Raum sitzen. Im Idealfall ist dann auch jemand dabei, der im Notfall kurz technischen Support geben kann.


Fazit

Vielleicht gibt es in der Zukunft technische Lösungen die hybride Veranstaltungen ermöglich, in denen eine absolute Gleichbehandlung erfolgen kann. Ausschließen will ich das auf keinen Fall. Noch vor 10 Jahren hätte ich mir auch nicht vorstellen können, eine Open Space Veranstaltung online durchführen zu können…

Stand heute sind hybride Veranstaltungen für mich keine Alternative. Es sei denn auch alle Teilnehmenden vor Ort nehmen mit eigenen Zugängen online teil und sind „nur physisch“ vor Ort.

Jedem ein Gesicht, jedem eine Stimme.

Wie seht Ihr das? Wie sind Eure Erfahrungen?

Birgit Gosejacob Portrait mit roter Jacke und roter Kette
Autorin Birgit Gosejacob
Birgit Gosejacob begleitet Veränderungsprozesse als Leadership-Coach, Beraterin und Facilitator unter dem Motto Mutig.Anders.Machen. Sie ist Expertin für kreative Lösungsfindungen, lebendige Kollaboration und mutige Veränderungen. Sie unterstützt Führungskräfte und deren Teams dabei, mit Pioniergeist, Mut, Zusammenhalt und Power Veränderungen zu stemmen. Als Facilitator schafft sie in Präsenz- und virtuellen Formaten Raum für kleine und große Gruppen, in denen diese jeweils eigene kreative Lösungen, ein gemeinsames Ziel oder einen gemeinsamen Weg finden können. Ihr Fokus liegt auf dem Aufbruch von Denkstrukturen, der Entwicklung eines agilen Mindsets, sowie des Zusammenwirkens unterschiedlicher Akteure über den eigenen Bereich hinaus.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert