Was ist Design Thinking eigentlich? Macht das Sinn?
Du stolperst immer wieder über den Begriff „Design Thinking“ und hast Dich immer schon gefragt, was das eigentlich ist? Vor allen Dingen, ob das etwas ist, was für Deine Organisation sinnvoll ist? Ohne zu wissen, um welche Organisation oder Branche es sich handelt, kann ich Dir eins versprechen:
Ja, es ist sinnvoll!
Das Tolle an Design Thinking ist, dass Du die Methode, bzw. Teile davon in ganz vielen Alltagssituationen in Deiner Organisation anwenden kannst.
Aber wie immer gilt auch hier: Bevor ich eine Methode an meine aktuellen Bedürfnisse anpasse, muss ich erst einmal verstehen, wie sie funktioniert.
Tschüss lineares Vorgehen
Prozesse z.B. aus der Entwicklung oder dem Projektmanagement weisen meist diese Merkmale auf:
- Sie sind klar definiert und linear.
- Sie haben ein bestimmte Zeitachse.
- Das Ziel ist von Anfang an klar definiert.
- Es gibt, gerade bei längeren Prozessen, ebenfalls konkret festgelegte definierte Meilensteine, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht werden müssen.
- Es gibt eine Reihe von Kennzahlen, mit denen der Prozess evaluiert wird.
Bei einem Design Thinking Prozess hast Du alles das nicht.
Design Thinking Prozesse weisen ganz andere Merkmale auf:
- Sie sind klar strukturiert, aber nicht linear sondern iterativ.
- Die einzelnen Schritte haben sehr enge Zeitfenster, der gesamte Prozess ist zeitlich nicht definiert.
- Das Ziel wird im Prozess definiert und immer weiter geschärft.
- Es gibt im Prozess festgelegte Schritte, die aufgrund möglicher Iterationen mehrfach gegangen werden.
Nachteil von Design Thinking
Der Prozess kann nicht mit herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen gemessen und evaluiert werden.
Vorteile von Design Thinking
- Schnelligkeit und Flexibilität, mit der auf Kundenwünsche reagiert werden kann
- Schnelligkeit und Flexibilität, wenn in unserer sich VUCA-Welt wieder einmal ungeplante Veränderungen ergeben
- Optimale Lösung für das Problem des Kunden
- Hohes Innovationspotenzial
Design Thinking Prozess in 6 Schritten
Zur „perfekten“ Lösung? Absolut! Schau Dir an, wie ein Design Thinking Prozess abläuft und worauf es in den einzelnen Schritten ankommt. Dann verstehst Du, dass der Prozess dann abgeschlossen ist, wenn Dein Kunde die von Dir vorgestellt Lösung als perfekt ansieht.
Einfach? Eigentlich schon. Aber es gibt Einiges zu beachten.
Es gibt unzählige Varianten dazu, wie ein iterativer Prozess ablaufen kann. Ich persönliche finde die „Double Diamonds“ sehr übersichtlich, die die Design Thinking Phasen zeigen:
Schritt 1: Perfekte Kundenlösung durch Empathie
Darum geht es:
Versuch Dich so weit wie möglich in Deinen Kunden hinein zu versetzen. Wer ist dieser Mensch?
Das musst Du tun:
- Stell Dir Deinen Kunden ganz genau vor und erstelle eine Persona mit Informationen zu Name, Alter, Geschlecht, Familienstand, Beruf, sozialem Umfeld, Hobbys, persönlichen Herausforderungen, Wünschen, usw.
Du holst Deinen Kunden aus der Anonymität.
Schritt 2: Das Problem verstehen, bevor Du an die Lösung denkst
Darum geht es:
Bevor Du einem Kunden eine Lösung für sein Problem anbietest, musst Du das Problem bis in den innersten Kern verstanden haben.
Empathie entwickeln
Noch wichtiger: Du musst genau wissen, was dieses Problem für Deinen Kunden bedeutet. Erst dann bist Du wirklich in der Lage die notwendige Empathie zu entwickeln, um eine wirklich gute Lösung zu finden.
Hier ein Beispiel: Eine Bank überlegt das Netz der Servicestationen auszudünnen. Problemstellung: Die Nähe zu den Kunden ist in vielen Fällen nicht gegeben. Was kann getan werden, um diesen Kunden weiterhin guten Service zu bieten?
Es ist klar, dass Bankkunden gerne Servicestationen wie Geldautomaten, Auszugsdrucker usw. in räumlicher Nähe haben möchten. Das ist bequem.
Die Herausforderung bekommt eine ganz andere Gewichtung, wenn Du Dir einzelne Kunden vorstellst: Da gibt es die alte, alleinstehende Rentnerin, ohne Auto. Sie ist angewiesen auf einen Rollator. Der nächste Geldautomat soll demnächst erst in 5 km Entfernung im nächsten Ort sein. Oder die junge Mutter, die mit ihren Zwillingen auch ohne Auto in einem Stadtteil wohnt, in dem eine Servicestation geschlossen werden soll… Sie müsste sich mit Bus und U-Bahn in einen anderen Stadtteil bewegen.
Im Design Thinking würdest Du Dir jetzt einen Kundentypen ganz genau anschauen und alle Schritte mit absolutem Fokus auf diesen Kunden (bzw. die entsprechend Kundengruppe) ausrichten.
Ein Problem mit allen Folgen für den Kunden wirklich verstehen und nutzerzentriert denken – darum geht es beim Design Thinking!
Das musst Du tun:
- Führ Interviews mit Deinen Kunden und frag nach den größten Herausforderungen und Wünschen.
- Konzentrier Dich auf den Punkt, für den er am dringendsten eine Lösung sucht.
In Schritt 2 und 3 machst Du deutlich mehr als „nur“ als nur Deinen Kunden kennen zu lernen und dessen Problem genau zu verstehen. Du erfährst, was das Problem in seiner individuellen Situation, tatsächlich bedeutet. Welche Auswirkungen es auf ihn hat, die vielleicht weit über das hinausgehen, was Du zuerst erwartet hättest.
Diese Erkenntnis unterscheidet Lösungsfindungen für den Kunden von klassischen Produktentwicklungen:
Du stellst Empathie her!
Schritt 3: Denken ohne Grenzen
Darum geht es:
Du musst eine wirklich gute Idee finden, wie Ihr das Problem von Eurer Persona löst. Für die eine gute Idee, oder eine Kombination von Ideen, benötigst Du so viele wie möglich. Manchmal ist der verrückteste Gedanke der, der Euch zur Lösung führt.
Das musst Du tun:
- Sammle Ideen, indem Du mit Kreativtechniken arbeitest. Achte darauf, dass erst einmal jeder für sich so viele Ideen wie möglich notiert. Einfach ganz spontan ohne zu überlegen, ob die einzelne Idee sinnvoll oder umsetzbar ist.
- Macht die Ideen allen zugänglich (per Post Its an einer Wand, oder virtuell auf einem Whiteboard wie Miro, Mural oder Lucidspark).
- Gib Raum für Verständnisfragen.
- Wer favorisiert welche Idee? Oder ist evtl. eine Kombination die Lösung? Stimmt ab.
Schritt 4: Der Idee „ein Gesicht“ geben
Darum geht es:
Du musst Eure Idee jetzt in einer möglichst simplen Art Deinem Kunden vorstellen. Das alles so einfach, schnell und kostengünstig sein. Ein Prototyp kann fast alles sein:
- ein Video
- ein Rollenspiel
- ein Modell aus Pappe/Holz
- ein Daumenkino
- Plakate
- eine kreative Darstellung mit Lego und Kreativmaterial
- …und vieles mehr!
Das musst Du tun:
- Einfach und verständlich Eure Lösung darstellen: Der Kunde muss sofort erkennen, wie Eure Idee sein Problem und den ganzen damit verbundenen Ärger oder Stress löst.
- Einfach und schnell erstellen: Es ist ein erster Test – es geht nur darum, ob der Kunde Eure Lösungsidee toll findet oder ob Ihr nachbessern müsst. Der Prototyp kann und muss unperfekt sein.
- Low Budget: Für die Idee einer APP darf es zum Beispiel auch ein Daumenkino aus Papier mit Skizzen sein.
Schritt 5: Vom Kunden lernen
Darum geht es:
Stell Deinen Kunden Deine Lösungsidee in Form des Prototypen vor.
WICHTIG:
Es geht nicht darum, dem Kunden dieses Prototypen als die perfekte Lösung zu verkaufen, sondern um ein ganz offenes und ehrliches Feedback zu bekommen. Nur so hast Du die Chance anzupassen und zu verbessern. Jede Reaktion auf Euren Prototyp ist wichtig.
Das musst Du tun:
- Stell Deinen Kunden den Prototyp vor und bitte um kritisches Feedback.
- Stellt den Prototyp immer in einem kleinen Team vor: Eine/r beobachtet lediglich die Reaktionen wie Gesichtsausdruck, Körperhaltung usw. Ein/r notiert genauestens die Aussagen.
- Versucht auf keinen Fall Eure Idee zu verkaufen. Ihr wollt die beste Lösung für Euren Kunden und es kann durchaus sein, dass ihr eben nicht auf Anhieb diese Lösung gefunden habt. Das wäre sogar der Normalfall. Nur durch das ehrliche Feedback auf Euren Prototypen bekommt Ihr die Chance, Eure Lösung zu verbessern.
Schritt 6: Rückschritte für den Fortschritt
Darum geht es:
Setz Dich genau mit dem erhaltenen Feedback auseinander: Habt Ihr wirklich das Problem Eures Kunden ganz genau verstanden? Habt Ihr evtl. eine tolle Lösung, die dem Kunden aber zu kompliziert ist?
In den meisten Fällen werdet Ihr feststellen, dass es noch Verbesserungsbedarf gibt. Vielleicht habt Ihr auch das Problem nicht richtig verstanden.
Das musst Du tun:
- Je nachdem, wo Du Nachbesserungsbedarf erkennst, gehst Du im Prozess zurück an die Stelle, wo Du nachbessern musst. Gegebenenfalls bis ganz an den Anfang.
- Es kann sein, dass Du etliche Iterationen und Prototypen benötigst, bis Du die perfekte Lösung hast. Genau deswegen sollten die Prototypen so schnell und einfach wie möglich gehalten werden.
Das macht Design Thinking aus:
Kreativität und Struktur Hand in Hand
Im Design Thinking trifft das aufeinander, was eigentlich als unvereinbar miteinander gilt: Kreativität und Struktur.
Klare Struktur und enge Zeitfenster
Der Prozess ist vom Ablauf und auch von den zeitlich Vorgaben für einzelnen Schritte sehr stark strukturiert. Die Zeitfenster sind immer so eng wie möglich bemessen. Diskussionen sind nicht vorgesehen. Verständnisfragen ja, Abstimmungen ja – beides geht schnell und ist zielführend.
Jeder Gedanke, jede Idee ist erlaubt und erwünscht
Bei der Ideenfindung und der Erstellung von Prototypen sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Je freier gearbeitet und gedacht wird, je besser und innovativer kann die Lösung sein.
Aber auch diese beiden Phasen sind streng in die Struktur eingebunden und haben enge Zeitfenster.
Dieses Zusammenspiel der beiden Gegensätze macht Design Thinking nicht nur sehr erfolgreich, sondern auch für alle Teilnehmenden an einem Design Thinking Prozess zu einer spannenden Herausforderung.
Jeder Mensch hat seine individuellen Vorlieben – die einen lieben die feste Struktur, die anderen die freie Kreativität. Das musst Du bereits bedenken, wenn Du ein Team für einen Design Thinking Prozess zusammenstellst.
Das Team: Geht es noch „bunter“?
Du brauchst in Deinem Team für diesen Prozess
- die gut strukturierten logischen Denker
- die wilden Kreativen
- mindestens 1-2 Personen, die möglichst fachfremd sind und mit freien Köpfen neue Ideen und Perspektiven einbringen können.
Wenn Du ein homogenes Team zusammen stellst, beispielsweise nur aus Technikern der Entwicklungsabteilung, wirst Du kaum wirklich neue Ideen erwarten können. Daher achte darauf, dass Du Dein Design Thinking Team so heterogen wie möglich zusammenstellst.
Alles anders als gewohnt
- Statt langfristiger, starrer Prozesse bekommst Du einen flexiblen, iterativen Prozess.
- Statt der üblichen Abstimmung zwischen Entwicklung und Marketing/Verkauf findet die Abstimmung zwischen einem heterogenen Team und Kunden statt.
- Statt der sonst nach außen gezeigten Perfektion, zeigst Du noch unperfekte Produkte und bittest um Feedback.
- Du entwickelst eine Lösung für den Kunden nicht auf Basis von neuen technischen Entwicklungen oder höchster Marge, sondern durch Empathie.
Auch hier kannst Du Design Thinking nutzen
Auch wenn Design Thinking ursprünglich für eine nutzerzentrierte Produktentwicklung entstanden ist, kannst Du diese Methode, oder auch nur Phasen davon extrem vielfältig in Deiner Organisation nutzen. Hier einige Beispiele:google
Projektmanagement: Muss es immer ein linearer, starrer Prozess sein, oder tut Euch dort vielleicht auch eine gewisse Flexibilität gut? Wie wäre es, wenn Ihr die Meilensteine für eine kleine Retrospektive nutzen und den Prozess gegebenenfalls anzupassen würdet? Hinterfragt, ob vorher alles bedacht und richtig eingeschätzt wurde. Geht gegebenenfalls noch einmal in eine Iteration. | Iteration |
Kommunikation: Wann immer Du etwas für andere Menschen machst, kann Dir eine Persona helfen, Dich in diese andere Person hineinzuversetzen. Neben der Produktentwicklung kann Dir das bei Texten im Marketing, in der Pressearbeit, Social Media, Stellenausschreibungen usw. helfen. | Persona |
Nutzerzentriert denken: Nicht nur bei der Produktentwicklung, sondern auch in anderen Bereichen. Mitarbeiterbefragungen gehen in die Richtung, aber genau so gut kannst Du zum Beispiel auch Interviews mit Schülern führen, um Deine Ausschreibungen für Ausbildungsstellen attraktiver zu gestalten. | Interview |
Ideenfindung: Die drei Schritte – erst sammelt jeder für sich mit Kreativtechniken, dann Verständnisfragen klären, dann Abstimmung – kannst Du überall nutzen: Immer dann, wenn Ihr eine Idee braucht. Du kannst das einfach in ein Meeting einbauen. Es kostet nicht viel Zeit, bringt Euch aber schnell einen großen Schritt weiter. | Ideenfindung |
Ich bin mir sehr sicher, dass Dir hier noch viel mehr Einsatzmöglichkeiten für Design Thinking einfallen…
Fazit
Du siehst: ein Design-Thinking Prozess eignet sich für kleine wie für große und komplexe Herausforderungen und kann sowohl für Lösungsfindungen innerhalb eines Teams wie auch im größeren Rahmen wie z. B. mit Kunden, Lieferanten, Nachbarn oder für kommunale Themen angewendet werden.
Auch hier gilt – Zusammenarbeit ist alles!
Je komplexer die Herausforderungen sind, je vernetzter sollte gearbeitet werden: in interdisziplinären, heterogenen Teams, auch über Bereichs- und Unternehmensgrenzen hinaus.
Design Thinking Prozesse sind sehr genau strukturiert – trotz der Vielzahl der kreativen Elemente – und führen mit einer hohen Effizienz zu Ergebnissen.
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